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Anders auditieren – vom nutzlosen Ritual zur funktionierenden Potenzialanalyse
Wir möchten eingeschworene Fans des internen Audits warnen. Wir werde Dinge über das interne Audit sagen, die ihnen möglicherweise nicht gefallen. Das externe Audit möchten wir allerdings hier außen vorlassen. Es hat eine ganz andere Funktion, als das interne Audit. Das externe Audit muss unter den Rahmenbedingungen, die es prägen, im Kern ein Konformitätsaudit sein.
Das Audit, QM-Regelwerke und die QM-Zertifizierung prägen die Wahrnehmung der Unternehmensleitungen, Führungskräfte und Mitarbeiter über das, was Qualitätsmanagement ist, mehr als alles andere. Und sie prägen sie in einer Art und Weise, die für die Qualität, das Qualitätsmanagement und die Qualitätsmanagerinnen und Qualitätsmanager problematisch ist. Wo das Qualitätsmanagement das Image hat, bürokratisch und nicht wertschöpfend zu sein, führen wir dies ganz wesentlich darauf zurück, dass Mitarbeiter erleben, wie Qualitätspersonal viel Energie in ritualisierte, letztlich fast nutzlose Audits investiert. Audits, die zu allem Überfluss auch den Mitarbeitern Zusatzaufwände verschaffen und sie zwingen, ihre Arbeit und ihre Prozesse anders darzustellen, als sie im Alltag ablaufen.
Individuen und Interaktionen sind wichtiger als Prozesse und Werkzeuge
Die Kollegen des Qualitätsmanagements, darunter auch der Leiter QM-Audit, waren unzufrieden mit der Ausbeute an Verbesserungspotenzialen aus internen Audits. Dabei ist das Auditsystem durchaus auf modernem Stand, die Auditoren sind sehr gut qualifiziert. Woran kann es also liegen, wenn interne Audits nicht die notwendigen Erkenntnisse verschaffen? In einem Unternehmen mit sehr reifen Prozessen liegen die wichtigsten Potenziale nicht mehr in der Prozessverbesserung. Sie liegen in unzureichender oder sogar gestörter Interaktion. Gestörte Interaktion lässt sich aber mit etablierten Auditmethoden kaum feststellen, zumal Mitarbeiter diese in Prüfungssituationen auch aktiv verbergen. Unsere Schlussfolgerung und Arbeitshypothese für die Verbesserung der internen Audits lautete deshalb:
Wenn wir die Dinge anders und andere Dinge in Audits sehen wollen, dann müssen wir anders auditieren.
Daraufhin führten wir mehrere Pilotaudits durch, in denen wir wesentliche Aspekte des Audits nicht nur anders machten, sondern genau ins Gegenteil verkehrten, um zu schauen, was dann passiert. Dabei haben wir uns zusätzlich auf Erkenntnisse der Ethnographie gestützt, einer Teildisziplin der Ethnologie, der vergleichenden Völkerkunde gestützt. Ethnographie befasst sich mit dem Beobachten und Dokumentieren von Kulturen, gesellschaftlicher Prozesse und menschlicher Interaktionen. Deren Beiträge haben enorm dabei geholfen, gut fundierte Paradigmenwechsel zu vollziehen. Hier sind einige Punkte, die wir veränderten, die Ausgangsthesen und eine Kurzbeschreibung, wie wir das Setting in Audit angepasst haben:
Ritualisierung
Erfahrene Auditoren stellen rituelle Fragen und erfahrene Auditierte geben darauf rituelle Antworten. Beide Gruppen legen insgesamt ein faszinierend ritualisiertes Verhalten an den Tag. Das wäre ein interessantes Feld für Ethnologen. Derart ritualisierte Audits decken einzelne Nonkonformitäten und sogar kleine Verbesserungspotenziale auf. Viele und besonders eklatante Potenziale bleiben aber verborgen, die Rituale helfen den Auditierten sogar dabei. Die Auditoren haben Rituale durchbrochen, sich anders verhalten, als in bisherigen Audits, sie haben
- einen Tisch als „Basislager“ inmitten der Produktionslinie aufgebaut,
- phasenweise und ausgiebig beobachtet, statt pausenlos zu interviewen,
- gewartet, bis Mitarbeiter sie angesprochen haben,
- keine Fragelisten vorbereitet,
- keine Ad-Hoc-Bewertungen abgegeben.
Zeitdruck, enge Taktung
Audits erfolgen unter enormem Zeitdruck und eng getaktet. Es gibt kaum Raum für ausgiebige Beobachtungen der alltäglichen Arbeitssituation.
Die Auditoren
- haben z.B. eine halbe Schichtdauer vor Ort verbracht,
- sind ohne Agenda in Audits gegangen.
- haben in langen Phasen still beobachtet.
Arbeitsplatzferne
Insbesondere bei Produktionsarbeitsplätzen oder im Außendienst finden die Interviews häufig in Räumlichkeiten abseits der Arbeitsplätze statt. Dadurch entsteht
eine sterile Situation, in der viele Aspekte der Arbeitsumgebung unerkannt bleiben.
Die Auditoren
- waren während des gesamten Audits an den Arbeitsplätzen der Mitarbeiter,
- verrichteten unter Anleitung der Mitarbeiter selbst deren Tätigkeiten.
Umgang mit Tipps, Best Practice
Auditoren wollen von den Auditierten geachtet werden und für das Unternehmen Nutzen stiften. Deshalb suchen sie nach nützlichen Potenzialen und Verbesserungsideen. Sie übertragen Beispiele aus ihrem Erfahrungsschatz (vermeintliche Best Practices) auf die vorgefundene Situation – auch dann, wenn sie nicht alle dafür relevanten Aspekte verstanden haben. Auditierte können in der Auditsituation in ihren Augen ungeeignete Ideen und Übertragungen nicht offen kontern oder kommentieren. Auditoren erhalten deshalb oft kein ehrliches Feedback zu ihren Ideen und Vorschlägen.
Die Auditoren
- haben keine Tipps und Beispiele eingebracht
Macht- und Informationsasymmetrie
Auditsituationen sind für Auditierte geprägt durch große Asymmetrie, die sich in Informations- und Machtgefälle manifestiert. Deshalb kann es sein, das Auditierte Audits als bedrohlich und angsterregend bewerten. Die Auditoren sind Eigner ihres Auditprozesses, den sie im Detail kennen, sie bestimmen das Setting, die Agenda, die Gesprächsthemen. Sie fragen, fragen nach und insistieren, sie bewerten die Antworten der Auditierten auf Basis von Kriterien, die diese nicht durchblicken, sie entscheiden über Bestehen und Nichtbestehen. Sie belehren, indem sie Hinweise und Tipps geben, ohne dass die Auditierten sich offen und ausgiebig dazu äußern können. Und sie verwenden eine eigene ausgrenzende Sprache.
Die Auditoren
- haben auf einige Insignien der Angestellten und Führungskräfte verzichtet (keine Krawatten, keine Sakkos, keine Titel),
- sind respektvoll und zurückhaltend aufgetreten, sogar zögerlich, haben oft gewartet, bis sie angesprochen wurden,
- haben durch das Vermeiden von Tipps, den Verzicht auf eigene Erklärungen und QM-Begriffe sowie auf ad hoc Bewertungen versucht, nicht als allwissende Instanz oder als Juror aufzutreten,
- haben keine alltagsfernen Themen angesprochen, wie z.B. Qualitätspolitik des Unternehmens,
- haben nicht mit Dokumenten gearbeitet, auf keine verwiesen und nicht nach welchen gefragt.
Zurückhaltung der Auditierten
Auditierte sind Informationsgeber, sie beantworten Fragen. Sie können die Relevanz des von ihnen Gesagten für das Auditergebnis nicht einschätzen. Deswegen ist es klug, zurückhaltend mit Informationen zu sein. Probleme sollten sie möglichst verdeckt halten, positive Aspekte hervorheben.
Die Auditoren
- haben die Mitarbeiter nicht bedrängt, haben den Mitarbeitern Zeit gegeben, sich an ihre Präsenz zu gewöhnen.
Ausnahmesituation Audit
Das Audit stellt für die Auditierten eine Ausnahmesituation dar. Sie liefern ihre Erklärungen und Antworten im Kontext der Auditsituation. Das bewusst erzeugte Bild weicht von der Arbeitssituation dadurch z.T. signifikant ab.
Die Auditoren
- haben die Interviews als Gespräche mit nahezu alltäglichem Charakter angelegt,
- reflektieren, dass die Begründungen der Auditierten dafür, wie sie sich während ihrer Tätigkeit, im Team oder im Kontext des Audits verhalten, nicht die wirklichen Motive für ihr Handeln darlegen müssen.
Enger Blickwinkel der Auditoren
Ins Gespräch vertieft nehmen Auditoren nur einen Teil der Interaktionen und des Geschehens um sie herum wahr. Zudem ist es schwierig, die Interaktion zwischen Auditor und Auditierten als Auditor selbst zu beobachten und Distanz für eine neutrale Reflexion zu gewinnen, um einerseits das eigenen Verhalten im Sinne der Thesen zu verbessern sowie zusätzliche Erkenntnisse aus dem Audit zu gewinnen.
- Es gab viel Gelegenheit zur stillen Beobachtung.
- Den Auditoren stand ein Beobachter zur Seite, dessen einzige Aufgabe darin besteht, die Auditsituation und Interaktion der Auditoren und Auditierten zu beobachten, dazu Feedback zu geben und Erkenntnisse für das Audit selbst und für eine Metaanalyse des veränderten Auditkonzeptes zusammenzufassen.
In anderen Unternehmen mögen andere konkrete Herausforderungen hinsichtlich des internen Audits bestehen. Viele der gewonnenen Erkenntnisse halten wir für generalisierbar und für grundsätzlich übertragbar auf andere Unternehmen.
@DGQ-Information 01-2019